Ideen zum Wohlfühlen
Mit alten Sachen Neues wagen
Altes muss nicht schlecht sein. Vor allem, wenn es dank modernster Technik sogar noch einen Komfortgewinn bringt und Energie spart
Es gibt viele Begriffe dafür: Retro, Nostalgie oder schlicht Oldschool. Und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass selbst in neuen Häusern Altes immer noch gerne verwendet wird. Das muss nichts Großes sein – Omas alte Küchenuhr reicht beispielsweise schon aus, um ein kleines Retro-Tüpfelchen in einer neuen Immobilie zu setzen. Doch es geht noch viel weiter. Hier kann jeder von diesem ungebremsten Trend profitieren. Der nämlich macht es für die Hersteller möglich, in die Modernisierung zu investieren. Damit wird Altes, ohne ein Jota seines Charakters zu verlieren, zu Neuem – mit einer Menge Vorteile. Wie das in einem brandneuen Eigenheim gehen kann, zeigen wir auf den folgenden Zeilen.
Warum alt?
Doch um zu verstehen, warum eigentlich schon seit Jahren eine große Retro-Welle herrscht, muss man ein wenig in die menschliche Psyche eintauchen. Und da zeigt sich Erstaunliches. Unser Hirn vergisst selektiv. Je weiter ein Ereignis zurückliegt, desto eher tendiert der Denkapparat dazu, nur Momente großer Emotionen zu behalten.
- Die Flammen im Ofen, die der Großvater mit Holzscheiten fütterte
- Das Gefühl, über den Samt-Stoff von Omas Couch zu streichen
- Der eichene Wohnzimmerschrank, in dem für den Enkel immer etwas Süßes bereitlag
- Der quietschende Küchentisch, an dem an Weihnachten die ganze Familie versammelt war
all das sind zwar triviale, aber äußerst starke Emotionen. Dieses Gefühl will der Mensch zurückholen; durch einen eigenen Ofen, vielleicht eine Retro-Couch oder einen ähnlichen Küchentisch, wie er damals bei den Großeltern stand. Bloß sind solche echten Stücke rar, meist teurer und entsprechen nicht mehr den technischen Erwartungen der heutigen Zeit.
An diesem Punkt kommen die Hersteller ins Spiel. Sie haben verstanden, dass es einen großen Markt für Dinge gibt, die „wie damals“ wirken, aber es nur der Optik nach sind. Damit lässt sich sowohl das Bedürfnis nach Rückkehr dieser positiven Gefühle, als auch die Notwendigkeit einer zeitgemäßen Funktionalität befriedigen. Gleich das erste folgende Beispiel, versinnbildlicht das nahezu perfekt.
1. Feuer mit Wasseranschluss
Viele Mitglieder „Enkelgeneration“, die sich dieser Tage ein Eigenheim leisten, erlebten noch, dass bei den Großeltern mit Einzelfeuerungsöfen geheizt wurde. Weil diese Menschen damals Kinder waren, erinnern sie sich heute vor allem an das Positive daran, die gemütliche Wärme, die knisternden Flammen beispielsweise.
Bloß können solche alten Öfen heute sowohl von einem wirtschaftlichen als auch oft gesetzlichen Standpunkt aus nicht mehr betrieben werden. Hier kommen heutige Ofenbauer ins Spiel. Über sehr viele Jahre hinweg waren Kleinöfen fürs Wohnzimmer praktisch ausgestorben – und Kamine eher etwas für Besserbetuchte. Dann jedoch begannen gleichzeitig die Energiepreise zu steigen und die Kosten für klassische Heizmaterialien wie Holz zu fallen. Kombiniert mit dem Aufkommen von neuen Techniken wie Pellets wurde es auf einmal wieder interessanter, einen kleinen Ofen zu besitzen – die Hersteller konnten also nun wirtschaftlich reagieren.
Wie diese alte Technik modernisiert wurde, lässt sich am besten durch die Verbreitung sogenannter „Bivalenter Heizsysteme“ erklären. Dabei werden zwei Heizsysteme kombiniert. So kann der Wohnzimmerofen einfach an den Kreislauf der normalen Zentralheizung angeschlossen werden. Das spart Energie, ermöglicht die gemütliche Ofenwärme und dennoch das Heizen des restlichen Hauses – die Modernisierung von alter Technik in Bestform, weil es alle Annehmlichkeiten des Althergebrachten bringt ohne deren Nachteile.
2. Mehr Hölzernheit wagen
Auch bei einer weiteren Einrichtungsform ist Retro allgegenwärtig – wenngleich viele es vielleicht gar nicht so empfinden. Bei den Fußböden dominierten über Jahrzehnte im Hausbau zwei Dinge:
- Teppich
- Fliesen
Diese hatten mit einem Schlag die früher praktisch allgegenwärtigen Holzböden (oft nachträglich mi Linoleum bedeckt) abgelöst. Und zwar aus einem Grund: Pflegeleichtigkeit. Dielen- und Parkettböden aus Naturholz waren früher mit viel Arbeit verbunden. Sie mussten nicht nur normal geputzt, sondern mit einem bleischweren Bohnerbesen in stundenlanger Schufterei poliert werden. Kein Wunder also, dass mit dem Aufkommen leicht verlegbarer Teppichböden samt günstigen Staubsaugern unzählige Holzfußböden unter Stoff verschwanden.
Doch mit einem gesteigerten Umweltbewusstsein rückten die Teppich-Nachteile in den Fokus:
- Schmutzempfindlichkeit
- Belastung für Allergiker durch Milben
- Mangelnde mechanische Robustheit
- Chemische Ausdünstungen
Der erste Anwärter, der sich anschickte, den Teppich zu entthronen, war das Klick-Laminat, das ab der Jahrtausendwende rasend schnelle Verbreitung fand. Doch so überzeugend es wegen seiner einfachen Verlegung für Heimwerker war, es hatte einen Nachteil. Denn dieses frühe Klick-Laminat war optisch und qualitativ selten hochwertig – weshalb „Presspappe“ schnell ein Begriff wurde.
Das wiederum führte dazu, dass Kunden wieder Echtholz wollten – aber ohne die Nachteile vergangener Epochen. Und die Hersteller reagierten.
- Schwimmende Dielenböden
- Parkettböden
- Echtholz-Klick-Laminat
sind heute wahre Verkaufsschlager für Neubauten. Und sie alle sind mittlerweile so pflegeleicht wie jeder Fliesenboden. Möglich macht das moderne Lacktechnik. Dadurch kann Holz so versiegelt werden, dass es nach einem Wisch glänzt wie früher nach stundenlangem Bohnern. Und gleichzeitig halten moderne Heiz- und Dämmsysteme das Raumklima konstant, sodass es keine Probleme mit „arbeitenden“ Böden mehr gibt – dafür aber eine heimelige Retro-Optik und Natur pur unter den Füßen.
3. Ländlichkeit selbst in der Stadt
Wer einen x-beliebigen Einrichtungskatalog aufschlägt, der kommt um einen Trend nicht herum, der Landhausstil. Ob Küchenzeilen, Schlafzimmer oder Leseecke. Kaum ein Raum, der sich heute nicht mit dem Schick vergangener Epochen ausrüsten lässt. Und das hat einen gewaltigen Grund:
Vor einigen Jahren gipfelte bei Einrichtungen das, was man in der Retrospektive als „Steril“ bezeichnen würde. Einrichtungen wurden immer nüchterner, klarer, sachlicher. Puristen feierten diesen Trend, der ebenfalls an sich schon Retro war, weil er sich teilweise an Bauhaus und ähnliche Vorlagen anlehnte.
Allerdings war diese nüchterne Sachlichkeit für viele nur eines, nämlich unterkühlt. Wie bei jedem Trend so schwang auch dieses Pendel zurück. Und weil Holz mittlerweile nicht nur generell wieder eine höhere Nachfrage hat, sondern auch wesentlich umweltfreundlicher weil regenerativer angebaut wird, kam diesem ersten aller Möbelmaterialien erneut große Bedeutung zu. Denn damals wie heute gilt, Holz ist:
- Günstig
- Leicht zu bearbeiten
- Einfach zu pflegen
Diese Kombination in Verbindung mit dem Wunsch nach mehr Gemütlichkeit sorgte dafür, dass der Landhausstil allgegenwärtig ist. Und auch dabei machen moderne Materialien, analog zum Holzboden, heute vieles möglich, was früher ein Ausschlusskriterium war. Holz lässt sich heute industriell biegen, lässt sich computergesteuert fräsen und somit mit ähnlichen Verzierungen versehen wie früher – bloß eben um mehrere Faktoren günstiger.
Doch Landhaus ist mehr als Holz, es ist Stein, Kork, Rattan, Leinen und Leder – alles, was lange keine Rolle in der Inneneinrichtung spielte. Und es ist in Zeiten einer rasant digitalisierten Epoche der Gegenentwurf. Die Rückkehr zu einem gemütlichen Heim als Kontrast zu einer nüchternen, digitalen Welt „da draußen“.
4. Alt geht auch außen
Vor einigen Jahrzehnten war Hausbau-Deutschland zweigeteilt. Mauerwerke entstanden entweder aus Bims- oder aus Ziegelsteinen. Dazwischen gab es, abgesehen von modernistischen Beton-Experimenten, praktisch nichts. Mit der Energiewende explodierte jedoch der Bedarf. Wer heute ein Haus baut, der hat die Wahl zwischen einer Menge Mauermaterialien, etwa:
- Ton-, Lehm, oder Polysterol-versetzte Ziegel
- Porenbeton
- Kalksandstein
- Leichtbausteine
All diese Materialien haben noch diverse Untergruppen, sodass es heute über ein Dutzend Auswahlmöglichkeiten gibt. Allerdings erfüllt nicht jedes dieser Materialien ohne zusätzliche Dämmung die gesetzlichen Vorgaben für den Energieverbrauch eines Hauses. Bloß lässt sich eine normale Außenwanddämmung bestenfalls verputzen – und hat damit einen gewissen Einheitslook, den nicht jeder mag.
Genau deshalb ist Retro auch im Außenbereich wieder im Kommen. Das tragende Mauerwerk wird mit einer Dämmung versehen und dann durch eine äußere Schicht Verblendmauerwerk abgerundet. Das erhält alle Eigenschaften eines gut gedämmten Hauses und ermöglicht es trotzdem, die Optik in andere Bahnen zu dirigieren. Sehr beliebt heutzutage sind sogenannte Retro-Verblender. Diese haben den Look eines klassischen Ziegelstein-Mauerwerks – ohne dessen Nachteile. Zudem gibt es mittlerweile sogar Varianten, die künstlich gealtert wurden und daraus lässt sich ein Haus erstellen, dass vielleicht kein halbes Jahr alt ist, aber in Optik und Anmutung (und nur darin) wie ein Gebäude aus der „guten, alten Zeit“ wirkt, der viele Menschen nachhängen.
5. Es sind die kleinen Dinge
Dabei muss es natürlich nicht die große „Retro-Keule“ sein, die man für seinen Neubau schwingt. Denn so wie klare, nüchterne Einrichtungen nicht nur Fans haben, so gilt dies natürlich auch für den Retro-Stil. Und gemäß der genannten Punkte gibt es natürlich auch modern wirkende Alternativen:
- Öfen müssen nicht zwangsläufig einen alten Charme versprühen. Der Markt bietet auch ebenso viele Modelle, die zeitgenössisch wirken und sich dennoch in das genannte bivalente Heizsystem integrieren.
- Alle Vorteile eines Holzbodens lassen sich auch durch die Auswahl moderner Optik erzielen. So existieren auch Holzlaminate in Fliesen- oder gar Metalloptik.
- Der Vorteil des Landhausstils ist, dass er auch dosiert eingesetzt wirkt. Einzelne Räume, vielleicht sogar nur eine Wand reichen schon aus, um einen gewissen Stil zu erzeugen, ohne sich dabei vom eigentlichen Einrichtungsbild zu entfernen
- Generell geht der Trend zu Naturmaterialien. Steinböden etwa sind heute ebenso im Retro-Look wie in moderner Optik zu haben wie Stoff- und Lederbezüge für Sofas und andere Sitzmöbel
Der Trick dabei ist, den für sich passendsten Stil zu finden. Das kann natürlich mittels eines Innenarchitekten geschehen. Oder aber auch in Eigenregie. Wichtig ist nur, dass man sich hinterher in seinen eigenen vier Wänden heimelig fühlt – und ob das nun ein Ziegel-verblendeter Landhaus-Traum ist, oder ein modernistischer Bau, der nur von den alten Materialien in neuem Gewand profitiert, ist völlig zweitrangig.